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Eine Meldung innerhalb der deutschen Spielebranche sorgte in den vergangenen Wochen für viel Gesprächsstoff und Aufbruchstimmung – aber auch für viele offene Fragen. Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (kurz USK), in Deutschland für die Altersklassifizierung von Spielen zuständig, vergibt nun erstmals auch Wertungen an Titel mit verfassungsfeindlichen Symbolen. Was dies für die deutsche Spielebranche bedeutet (oder eben nicht), hat Björn Jahn von der USK am Sonntag auf der Entwicklerkonferenz Devcom erklärt.


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Viel Betrieb auf der diesjährigen Devcom


Was ist die USK und wie bewertet sie?[]

Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle ist eine freiwillige Einrichtung der Computerwirtschaft, die für den deutschen Markt Spiele prüft und diesen eine Alterskennzeichnung verleiht. Zur Prüfung erhält die USK vom Publisher ein Testmuster des Spiels, welches zunächst von einem Prüfer zu 100% durchgespielt wird. Danach entscheidet ein Gremium aus Experten gemeinsam mit staatlichen Vertretern über eine Wertung. Verweigert die USK aus Jugendschutzgründen eine Wertung, so landen die entsprechenden Spiele auf einer der Index-Listen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und dürfen nicht ohne Weiteres verkauft oder beworben werden.

Was war das Problem?[]

Laut §86(a) des deutschen Strafgesetzbuches ist es verboten, Propagandamittel oder Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen zu verbreiten, herzustellen oder zu veröffentlichen. Ausgenommen davon sind Verwendungen zum Zweck der Aufklärung, Forschung, Lehre, Berichterstattung sowie Kunst und Wissenschaft – die sogenannte „Sozialadäquanzklausel“. In der Vergangenheit fielen Videospiele im Gegensatz zu Filmen nicht unter den Deckmantel der Kunst, weshalb das Veröffentlichen von Spielen mit verfassungsfeindlichen Symbolen wie Hakenkreuzen oder SS-Runen in Deutschland nicht möglich war. Dementsprechend verweigerte die USK solchen Titeln die Prüfung, weshalb diese nicht im Laden verkauft werden konnten. Das führte oft dazu, dass Entwickler und Publisher eine „geschnittene Version“ speziell für den deutschen Markt einsendeten, in der alle entsprechenden Symbole entfernt wurden.

Eine alte Kontroverse[]

Diese Problematik ist kein neues Phänomen und betraf bereits Spieleklassiker wie Wolfenstein 3D. Aber auch in der Gegenwart sorgt die Handhabung des Verbotes immer wieder für Kontroversen: In Wolfenstein: The New Colossus beispielsweise entfernte Entwickler Machine Games nicht nur verfassungsfeindliche Symbole für die deutsche Version, sondern änderte zudem auch Namen und Gesichtsbehaarung von Adolf Hitler, der im Spiel einen Auftritt hat. In einem anderen Fall erhielt das historische Spiel Attentat 1942 einen Spiele-Award in Deutschland, konnte aber hierzulande aufgrund der verwendeten Symbole nicht veröffentlicht werden.


Wolfenstein_II_Adolf_Hitler_(German_Version)

Wolfenstein II Adolf Hitler (German Version)


Die Wende[]

Zuletzt sorgte das Satirespiel „Bundesfighter Turbo 2“ für Aufsehen: Alexander Gauland, ein spielbarer Charakter in Bundesfighter, transformiert sich bei einer seiner Attacken für einige Frames in ein (umgedrehtes) Hakenkreuz. Der Fall landete vor Gericht, wo die Staatsanwaltschaft Stuttgart sich entschied, keine Ermittlungen aufzunehmen. Dabei wurde Bezug auf die Sozialadäquanzklausel, also die Ausnahmeregelung für §86 StGB, genommen. Als daraufhin die Generalstaatsanwaltschaft eingeschaltet wurde, bestätigte diese die Entscheidung und bezeichnete die bisherige Regelung als „überholt“. Diese Entscheidung ändert zwar nicht direkt die Rechtslage in Deutschland, wird aber von vielen innerhalb der Industrie als Signal gesehen.

Die Branche reagiert[]

In Anbetracht dieser Entwicklung haben die Obersten Landesjugendbehörden (OLJB), welche für die Absegnung der USK-Einstufungen zuständig sind, ihre Richtlinien geändert, dicht gefolgt von der USK selbst. Ab sofort prüft die USK nun auch solche Titel, die verfassungsfeindliche Symbole beinhalten, und wendet die Sozialadäquanzklausel auf diese an. Es wird in jedem Einzelfall genau geprüft, ob die Verwendung der Symbole im Sinne der Klausel ist. Dazu müssen Entwickler bei der Übermittlung an die USK im Voraus alle verfassungsfeindlichen Symbole im Formular deklarieren. Einen ersten Erfolg gibt es bereits: Die Gamescom-Demo zum Epochen-Drama Through the Darkest of Times erhält trotz NS-Symbolik eine Einstufung ab 12 Jahren.



Der Anfang vom Ende?[]

Diese Änderung wirft einige Fragen auf, die Redner Björn Jahn auf der Devcom aufgreift: Die Neuprüfung von Spielen, die in Deutschland nur in einer geschnittenen Version erschienen sind, ist nun grundsätzlich möglich. Es wäre also beispielsweise denkbar, dass eine ungeschnittene Version von Wolfenstein: The New Colossus in Deutschland eine Einstufung erhält. Dennoch wird auch hier von Fall zu Fall entschieden: Selbst wenn ein geschnittenes Spiel freigegeben wurde, heißt das nicht automatisch, dass eine ungeschnittene Version auch eine Freigabe erhält. Die Frage danach, ob die Änderung der Prüfungsrichtlinien eine Reaktion auf steigenden gesellschaftlichen Rechtspopulismus sei, verneint Jahn: Die politische Spannung habe sicherlich die gesellschaftliche Debatte um das Thema entscheidend geprägt, sei aber kein direkter Faktor für Entscheidungen der USK.

Offene Fragen[]

Zu guter Letzt macht Jahn deutlich, dass auch die USK angesichts dieses Richtungswechsels nicht auf alles Antworten hat: Wie beispielsweise bewertet man Multiplayerspiele mit verfassungsfeindlichen Symbolen, die keinerlei narrativen Kontext für diese Symbole geben? Wie steht es beispielsweise um Strategiespiele, in denen man theoretisch als Drittes Reich das Spiel gewinnen kann? Es gibt viele ungeklärte Fragen, doch Jahn und andere Industrievertreter sind sich einig, dass diese Änderung ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung ist.

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Laserpferd ist ein ehemailiges Mitglied des deutschen Community-Development-Teams von FANDOM.

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